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20-jährige Restaurierungskampagne der Neuzeller Passionsdarstellungen geht in die letzte Phase

- Erschienen am 01.11.2021 - Pressemitteilung 334
Passionsszene im Museum Himmlisches Theater ©Bernd Geller Stiftung Stift Neuzelle

Durch die großzügige und langfristige Förderung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), der Ostdeutschen Sparkassenstiftung mit der Sparkasse Oder-Spree und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) ist das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologische Landesmuseum (BLDAM) zusammen mit der Stiftung Stift Neuzelle in der Lage, im vierten und fünften Restaurierungsabschnitt die seit über 20 Jahren laufende Restaurierungskampagne abzuschließen.

Seit Anfang März 2021 befinden sich die letzten noch nicht restaurierten Teile im BLDAM. „Wir sind froh, dieses aus restauratorischer und auch logistischer Sicht einmalige Projekt in unserer Wünsdorfer Restaurierungswerkstatt durchführen zu können, weil dies der einzige Ort im Land Brandenburg ist, an dem die großen Kulissen und vielteiligen Figurenszenen sach- und fachgerecht konserviert und restauriert werden können“,

begrüßt der Direktor des BLDAM, Professor Dr. Franz Schopper, die Gäste in Wünsdorf anlässlich des heutigen Pressetermins.

Staatssekretär Tobias Dünow, der Ministerin Dr. Manja Schüle vertritt, sieht die Neuzeller Kulissen für die Zukunft gesichert:

„Das Kloster Neuzelle ist ein kulturhistorischer Solitär in Brandenburg, nicht zuletzt wegen der fast vollständig erhaltenen Passionsdarstellungen des ‘Heiligen Grabes‘. Deswegen unterstützen wir die Restaurierung und Sicherung des barocken Kulissentheaters auch gerne mit 80.000 Euro. Die Darstellungen sind nicht nur europaweit einmalig – der architektonisch außergewöhnliche Museumsbau unter der Erde, in dem sie gezeigt werden, unterstreicht dabei in besonderer Weise die Wirkung der Passions-Kulissen – mein Tipp: Unbedingt hingehen!“

„Die Neuzeller Passionsdarstellungen sind ein einzigartiger Kulturschatz: Bewegte Bilder aus einer Zeit, in der die Menschen das Medium Film noch nicht kannten. Damit geht von ihnen eine besondere Faszination aus, die aber auch heute noch spürbar ist. Um diese besondere Sammlung von beinahe 240 Gemälden auch für künftige Generationen dauerhaft zu sichern, haben sich die Ostdeutsche Sparkassenstiftung und die Sparkasse Oder-Spree erneut und sehr gern für die abschließende Restaurierungsetappe eingesetzt",

so Patricia Werner, Geschäftsführerin der Ostdeutschen Sparkassenstiftung, bei der Besichtigung der laufenden Restaurierungsarbeiten in der Werkstatt des BLDAM.

Nach Abschluss der Restaurierungskampagne 2025 wird das Museum im Kloster Neuzelle in der Lage sein, jeweils zwei der insgesamt 15 Szenen im Wechsel der Öffentlichkeit zu präsentieren.

„In Zukunft können wir regelmäßig die Inszenierung im Museum Himmlisches Theater wechseln, wie von Anfang an geplant", freut sich Geschäftsführer Norbert Kannowsky von der Stiftung Stift Neuzelle. „Schon zu Ostern 2022 können wir zum ersten Mal zwei Szenen gleichzeitig wechseln, „Jesus vor Kaiphas" und der „Judaskuss" machen Platz für „Jesus vor Hannas" (Bühne Palast) und die „Grablegung Jesu" (Bühne Garten)."

Alle anderen nicht gezeigten Szenen werden konservatorisch vorbildlich im Depot des Museums im Kloster Neuzelle aufbewahrt.

Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab

Das Heilige Grab in Neuzelle gehört als Kulisse zum Typ der illusionistischen Raumarchitekturen. Es wurde um 1751 vom Künstler Johann Felix Seyfried im Auftrag des Klosters Stift Neuzelle geschaffen. Es sind weltweit noch etwa 30 Kulissenheiliggräber aus dem 18. Jahrhundert und eine viel größere Anzahl aus dem 19. Jahrhundert erhalten. Das Neuzeller Heilige Grab kann vor allem wegen seines Wortreichtums als Bilderpredigt päpstlicher Propaganda verstanden werden. Sie richtete sich – in einem protestantischen Umfeld – sowohl vor allem gegen die reformatorische Sicht der Eucharistie als auch gegen aufklärerisches Gedankengut.

Auch heute noch zählt das Heilige Grab zu den bedeutendsten Kunstwerken im Kloster Neuzelle sowie im Land Brandenburg. Im März 2015 wurde in Neuzelle ein neues Museum zur dauerhaften Präsentation der Passionsdarstellungen eröffnet.

Das Neuzeller Heilige Grab mit seinen 14 Passionsszenen und der Auferstehungsszene mit fast lebensgroßen Figuren in fünf Bühnenbildern ist europaweit nach Umfang, Größe und künstlerischer Qualität einmalig. Von den rund 240 großformatigen Tafeln und Leinwänden haben sich 229 erhalten. Das Neuzeller Heilige Grab nutzt theatralisch die Mittel und Möglichkeiten barocker Inszenierung. Aus kunsthistorischer und restauratorischer Sicht spektakulär ist die Tatsache, dass die barocken Theaterelemente authentisch erhalten sind und nicht übermalt wurden.

Seit dem 16. Jahrhundert wurden in der Karwoche und zur Osterliturgie vor allem in Süddeutschland und im Alpenraum Altar- und Theaterarchitekturen in Kirchen aufgestellt, die den Leidensweg, die Grablegung und die Auferstehung Jesu Christi illustrieren sollten. Diese Heiligen Gräber oder Ostergräber wurden nicht für Passionsspiele genutzt, sondern dienten ausschließlich der Verinnerlichung, der Betrachtung und dem Gebet.

Das von dem böhmischen Maler Seyfried geschaffene Neuzeller Kulissentheater verwendet bemalte Leinwände auf Keilrahmen und bemalte Holztafeln als Bühnendekoration. Die fast lebensgroßen Figuren und Figurengruppen sind ebenfalls mit Leimfarben auf Holztafeln aufgemalt. Diese Holztafeln stellte man in die aus sechs Ebenen bestehende Kulissengasse, die mit einem über sechs Meter hohen Proszenium eingeleitet und mit einem Schlussbild abgeschlossen wird. Die perspektivische Wirkung wird dadurch erzeugt, dass der etwa sechs Meter tiefe Theaterboden nach hinten leicht ansteigt und die Größe der Kulissenteile sowie der Figuren nach hinten abnimmt.

Ursprünglich konnte man in fünf Bühnenbildern (Garten, Palast, Palasthof, Stadt, Kalvaria) 14 Passionsszenen zeigen, die Auferstehungsszene wurde als Abschlussbild aufgestellt. Dabei wird jede Station der Passion Christi durch eine Figurengruppe vor der an der Schlusskulisse oder auf einem Gestell präsentierten Monstranz dargestellt. Die anderen Figuren- und Figurengruppen kommentieren das Geschehen oder erzählen andere Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament, die mit der Passionsszene korrespondieren

Museale Präsentation

Nach umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen können seit März 2015 die beiden Szenen Judaskuss (Bühnenbild Garten) und Kreuztragung (Bühnenbild Stadt) in einem unterirdischen Museumsbau gezeigt werden. Der erste Restaurierungsabschnitt (2. Szene Judaskuss im Bühnenbild Garten) wurde 2001-2003 mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) durchgeführt. 2011-2014 konnte der zweite Restaurierungsabschnitt (9. Szene Kreuztragung im Bühnenbild Stadt) mit Fördermitteln der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Sparkasse Oder-Spree im Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum in Wünsdorf abgeschlossen werden. Mit Beendigung des dritten Restaurierungsabschnittes konnte 2018, anlässlich der 750-Jahr-Feierlichkeiten zur Gründung des Klosters Neuzelle, die Szene „Jesus vor dem Hohepriester Kaiphas“ mit dem Bühnenbild Palast präsentiert werden. Diese Szene wurde mit Mitteln der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Sparkasse Oder-Spree, der Kulturstiftung der Länder und des Ministeriums für Wissenschaft Forschung und Kultur des Landes Brandenburg finanziert.

Die Gesamtbaumaßnahme zur Sanierung des Kutschstallgebäudes und zur Einrichtung und Erweiterung des Museums „Himmlisches Theater“ hatte einen Umfang von 8,9 Millionen Euro. Neben dem Ausbau der Museumsräume und des Depots, wurde ein unterirdischer Museumsanbau unter der Scheibe errichtet. Die Eröffnung wurde in den Medien umfangreich gewürdigt. Das Museum gehört zu den wichtigsten Brandenburgs und findet mit seinen Exponaten auch internationale Anerkennung. Als besonders innovativ gilt die unterirdische Anlage des Museumsneubaus. Gemeinsam mit den Glasfenstern der St. Marien-Kirche in Frankfurt (Oder), dem Heiligen Grab in Görlitz sowie den Zittauer Fastentüchern zählt es zu einer Reihe von Sakralmuseen an Oder und Neiße.

Abschließende Gesamtrestaurierung

In drei Restaurierungsabschnitten konnten bisher 3/5 der Bühnenbilder des Bestandes der Neuzeller Passionsdarstellungen konserviert und restauriert werden. Im vierten Restaurierungsabschnitt werden nun das Bühnenbild „Palasthof“ sowie sieben Szenen unterschiedlicher Bühnenbilder („Gebet Jesu am Ölberg“, „Verhör Jesu vor Hannas“, „Jesus vor Herodes“, „Geißelung Jesu“, „Dornenkrönung Jesu“, „Ecce homo“ und „Grablegung Jesu“) bearbeitet. Der Abschluss dieser ersten Phase ist nach drei Jahren vorgesehen und endet mit dem Aufbau des Bühnenbildes „Palasthof“ im Museum in Neuzelle. In der zweiten Bearbeitungsphase 2024-2025 werden das Bühnenbild „Kalvarienberg“ zusammen mit den restlichen Figurenszenen konserviert.

Die Gesamtkosten des abschließenden vierten und fünften Restaurierungsabschnitts belaufen sich auf 795.000 € und erstrecken sich über einen Zeitraum von fünf Jahren (2021 bis 2025). Die Maßnahmen werden ermöglicht durch die Förderungen der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), der Ostdeutschen Sparkassenstiftung mit der Sparkasse Oder-Spree und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) und durchgeführt vom BLDAM zusammen mit der Stiftung Stift Neuzelle.

Ziel der Restaurierungen

Mit der Restaurierung des gesamten restlichen Bestandes ist es möglich, im musealen Betrieb jedes Jahr eine neue Attraktion durch den Aufbau einer neuen Szene zu schaffen, und nach jeweils mindestens fünf Jahren eines von zwei Bühnenbildern zu wechseln. Das Bühnenbild "Garten" muss aufgrund des besonders fragilen Bestandes – mit zwei übereinander liegenden Malschichten – im Museum stehen bleiben. Der wiederholte Ab- und Aufbau dieses Bühnenbildes wird als zu riskant und aufwendig eingeschätzt. 

Wesentliches Ziel des Konservierungskonzeptes ist es, den weiteren Verfall des Ensembles mit möglichst minimalen Eingriffen in die originale Substanz aufzuhalten. Alle konservatorischen Bemühungen beruhen darauf, den weitgehend „unberührten“ Zustand mit seinem unverfälscht überlieferten Charakter soweit wie möglich zu bewahren. Von provisorischen Stabilisierungs-Maßnahmen an den Spannrahmen und Aufspannungen sowie einer rückseitigen Holzschutzmittel-Imprägnierung abgesehen, war in den vergangenen Jahrhunderten keine umfassende restauratorische Bearbeitung vorgenommen worden. Über den reinen Substanzerhalt hinaus macht die Konservierung ein Aufstellen des Bühnenbildes möglich und auf diese Weise das Passionstheater als Bühnenapparat wieder erlebbar. Daher müssen alle Bildträger und Malschichtflächen ausreichend konsolidiert werden, um zukünftige Transporte und Montagen verlustfrei durchführen zu können. Zudem gilt es, die einzelnen Teile des Bühnenbildes und der Szene als Gesamtkunstwerk möglichst in einen einheitlichen Zustand zu versetzen.

 

Abbinder

Ident-Nr
334
Datum
01.11.2021
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