Der Kopf isst mit – Zusammenspiel von Ernährung und Gehirn
- Erschienen am - PresemitteilungWelchen Einfluss hat die Wechselbeziehung zwischen Ernährung und Gehirn auf verschiedene ernährungsmitbedingte Erkrankungen? Das diskutieren über 850 Wissenschaftler*innen und Ernährungsfachkräfte auf dem 59. Wissenschaftlichen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), der vom 16. - 18. März 2022 zum zweiten Mal online stattfindet. Die DGE veranstaltet die Tagung in diesem Jahr gemeinsam mit dem Institut für Ernährungswissenschaft der Universität Potsdam und dem Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE).
Brandenburgs Wissenschafts- und Forschungsministerin Dr. Manja Schüle in ihrem Eröffnungs-Grußwort:
„Ernährung ist ein Forschungsthema, das – wie kaum ein anderes – uns alle betrifft. Deshalb freue ich mich sehr, dass die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Potsdam stattfindet – unter Mitwirkung unserer exzellenten Ernährungsforschung in Brandenburg. Das Tagungsthema ‘Der Kopf isst mit – Zusammenspiel zwischen Ernährung und Gehirn‘ berührt einen innovativen Forschungszweig, den das Deutsche Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke an den Schnittstellen zwischen Neurowissenschaft und Ernährung in einer eigens eingerichteten Abteilung intensiv bearbeitet. Im Rahmen des geplanten Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit wird es zudem einen Potsdamer Standort geben, in dem sich das DIfE und die Universität Potsdam mit ernährungsbedingten und sozialen Aspekten von psychischen Erkrankungen befassen. Die hohe Relevanz des Themas Ernährung zeigt sich auch daran, dass die Landesregierung gerade ein Konzept zur Erstellung einer Ernährungsstrategie für Brandenburg beschlossen hat. Und daran, dass wir das DIfE mit jährlich rund 9 Millionen Euro bei seiner wichtigen Forschung unterstützen und seinen jüngsten Forschungsbau mit 10 Millionen Euro. Gesunde Ernährung ist ein Zukunftsthema – und Zukunft wird in Brandenburg gemacht.“
„Unser Gehirn reguliert maßgeblich, wie wir uns entscheiden und wie wir essen. Dieser Prozess wird durch Stoffwechselhormone, die im Gehirn wirken, gesteuert und kann durch unsere Ernährung beeinflusst werden“,
sagen die Wissenschaftlichen Leiter des Kongresses, Prof. Dr. André Kleinridders, Institut für Ernährungswissenschaft, Universität Potsdam, und Prof. Dr. Tilman Grune vom DIfE.
„Das Wissen um die Zusammenhänge zwischen Gehirn und Ernährung könnte dazu beitragen, Interventionsstrategien zu entwickeln, die gesundes Essen bis ins hohe Alter nachhaltig fördern“,
betonen die Wissenschaftler. Drei Plenarvorträge sowie zwei Vortragsreihen und eine Postersession vertiefen das Kongressthema aus verschiedenen Blickwinkeln. Das 2 1/2-tägige Kongressprogramm beinhaltet insgesamt 69 Vorträge und 97 Posterpräsentationen sowie Minisymposien und Workshops zu aktuellen Forschungsergebnissen aus den Ernährungswissenschaften und angrenzenden Disziplinen.
Wie funktioniert die Gewichtskontrolle auf molekularer Ebene?
Prof. Dr. Jens Brüning, Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung in Köln, beschreibt die zentralnervöse Steuerung des Stoffwechsels. Bestimmte Nervenzellen des Hypothalamus regulieren maßgeblich die Nahrungsaufnahme und sorgen für eine ausgeglichene Energiebilanz. Sie integrieren rasch den Energiezustand des Organismus, indem sie die Verfügbarkeit von Energie über Hormone, Nährstoffkomponenten und sogar über die sensorische Wahrnehmung von Nahrung erfassen. Wichtig ist, dass sie nicht nur die Nahrungsaufnahme, sondern auch zahlreiche autonome Reaktionen wie den Glucose- und Fettstoffwechsel, Entzündungen und den Blutdruck steuern. Brüning zeigt auf, dass eine Fehlregulation dieser Schaltkreise weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Das Verständnis der neuronalen Signalwege bietet langfristig neue molekulare Therapieansätze für Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2.
Warum essen wir, was wir essen?
Die neuronalen Mechanismen der Nahrungsauswahl erläutert Prof. Dr. Soyoung Q Park vom DIfE. Menschliche Entscheidungen beruhen auf Vorstellungen und sind daher flexibel. Es gibt verschiedene Faktoren, die sie beeinflussen. Zum Beispiel könnte eine einfache Konsumentscheidung im Laufe des Lebens erlernt sein, wie dies typischerweise während der Kindheit in der Familie passiert, wenn es um die Lebensmittelpräferenz geht. Andererseits können auch zusätzliche Informationen die Entscheidungen und Vorstellungen beeinflussen, wie beispielsweise die angegebenen Kalorien- oder Ballaststoffgehalte. Diese können nicht nur die Geschmackswahrnehmung verzerren, sondern auch körperliche Veränderungen verursachen, wie z. B. metabolische Antworten. Andererseits kann unsere Ernährung über verschiedene Wege unser Denken und unsere Entscheidungen beeinflussen. Insbesondere die Protein- und Kohlenhydratgehalte scheinen einen Einfluss auf unser Gehirn und unsere Psyche auszuüben. Aktuelle neurowissenschaftliche Studienergebnisse zeigen, dass eine moderate Änderung im Verhältnis zwischen Protein- und Kohlenhydratgehalt die körperlichen Vorgänge verändert und dadurch auch unser Gehirn und unsere Entscheidungen verändern kann.
Mangelernährung im Alter – ein unterschätztes Problem
Prof. Dr. Kristina Norman, Charité – Universitätsmedizin Berlin und DIfE, unterstreicht die Bedeutung der Anorexie im Alter. Ihre Prävalenz ist schwer zu beziffern, da sie selten routinemäßig erfasst wird. Studien zufolge reicht sie von 10 - 20 Prozent in der gesunden Bevölkerung bis über 30 Prozent in klinischen Populationen. Die Altersanorexie beschreibt den Verlust des Appetits im Alter, der mit einer Verringerung der Nahrungsaufnahme einhergeht. Dabei sind ein höheres Sättigungsgefühl und ein verringertes Hungergefühl prägend. Die Bedeutung der Altersanorexie ergibt sich aus dem Risiko eines ungewollten Gewichtsverlusts und damit einer resultierenden prognostisch ungünstigen Mangelernährung. In weiterer Folge ist die Entwicklung einer Sarkopenie oder Frailty stark begünstigt. Die Pathogenese der Anorexie ist nicht eindeutig geklärt, aber mit Sicherheit multi-faktoriell. Norman geht auf die altersassoziierten Veränderungen in der Appetitregulation wie u. a. eine veränderte Magendehnung und -entleerungszeit ein. Auch inflammatorische Prozesse im Rahmen von Erkrankungen und das chronisch anhaltende Entzündungsgeschehen im Alter scheinen den Appetit zu verringern.