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Gedenkveranstaltung zum 79. Jahrestag der Befreiung in der Gedenkstätte Todesmarsch

- Erschienen am 12.04.2024 - Presemitteilung 99
Gedenken II ©Pixabay

Am heutigen Nachmittag wurde in der Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald in Anwesenheit von Kulturstaatsministerin Claudia Roth und der brandenburgischen Kulturministerin Manja Schüle mit einer Gedenkveranstaltung und einer Kranzniederlegung an die Befreiung der Häftlinge des KZ Sachsenhausen erinnert. Kurz vor Kriegsende hatte die SS rund 30.000 Häftlinge auf einen Todesmarsch getrieben, der für viele von ihnen über das Waldlager in Below führte. An der Veranstaltung nahmen rund 150 Gäste aus dem In- und Ausland teil.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth:

„Während Jahr für Jahr die Stimmen der Zeitzeugen verstummen, werden die Orte der NS-Verfolgung als Zeugnisse der Unmenschlichkeit immer wichtiger. Wie bitter nötig ihre Bildungsarbeit ist, daran erinnern uns die barbarischen Verbrechen vom 7. Oktober. Seitdem erleben wir eine Welle antisemitischer Gewalt. Wir erleben, wie der Antisemitismus die Sprache des Hasses auf die Straße trägt. Und wir erleben, wie Deutschlands NS-Gedenkstätten verstärkt zu Zielscheiben von Rechtsextremen werden. Das alles muss aufhören und es ist an uns, allen Menschen in Deutschland einen Zugang zu dieser Geschichte zu bieten. Mein besonderer Dank gilt deshalb der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, die hierzu einen wesentlichen Beitrag leistet.“

Kulturministerin Manja Schüle:

„Das Grauen des Nationalsozialismus hat sich in viele Orte eingeschrieben – einer davon ist der Belower Wald. Kurz vor dem Kriegsende mussten mehrere Tausend KZ-Häftlingen unter qualvollen Bedingungen in diesem Waldstück ausharren. Unzählige von ihnen wurden ermordet oder starben an Erschöpfung, Krankheiten, Hunger. Wir gedenken aller dieser Opfer. Unsere Gedenkstätten sind historische Orte, wertvolle Erinnerungs-, Lern- und Begegnungsorte. Auch im Belower Wald wird man unmittelbar an die Geschichte des Ortes, an unermessliches Leid und individuelle Schicksale erinnert. Erinnerung und Aufklärung sind nie abgeschlossen und müssen – das sehen wir gegenwärtig jeden Tag – stets von neuem verteidigt werden. Dabei helfen auch historisch-politische Bildung und neue Vermittlungsformate.“

Axel Drecoll, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten:

„Heute ist es so wichtig wie kaum jemals zuvor, Gedenken und Aufarbeitung als Verpflichtung für ein aktives Wirken zu begreifen. Wir müssen uns aktiv gegen jede Form der Diskriminierung und Verunglimpfung derjenigen einsetzen, die anders denken, anders leben, anders glauben, woanders herkommen oder anders lieben als die Mehrheitsgesellschaft. Wir müssen es sein, die respektvoll und solidarisch denken, reden und handeln und wir müssen dafür unsere Stimme erheben. Es ist eben nicht nur Toleranz, die jeder einzelne von uns den anderen und dem Anderssein entgegenbringen muss. Vielfalt in Gesellschaft, Kultur und Politik ist für uns schlicht und einfach lebensnotwendig. Wohin Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Hetze gegen Geflüchtete, Gewalt in Wort und Tat führen können, das zeigt in letzter Konsequenz dieser Ort.“

Mireille Cadiou, Tochter des Überlebenden Marcel Suillerot und Präsidentin des französischen Häftlingsverbandes:

„Heute, am 79. Jahrestag des Todesmarsches, ehren wir alle Häftlinge, die sich an diesem Ort aufhalten mussten, als Zeugen der Unmenschlichkeit, als Zeugen entsetzlicher Gräueltaten, deren Opfer sie wurden. Der Belower Wald, eine Etappe des Todesmarsches, erweist sich bei allen als ein Ort des kollektiven Gedächtnisses. Er war und muss ein symbolträchtiger Ort bleiben, der von der Barbarei der Nazi-Ideologie zeugt. Für meinen Vater, der uns im letzten Monat in seinem 101. Lebensjahr verlassen hat, waren die Leitmotive seines Lebens das Zeugnisablegen, der Frieden und die Freiheit der Völker. Die Ehrung, die wir heute allen Häftlingen zuteilwerden lassen, schöpft ihre Kraft aus der festen Bewahrung der Werte, die von den letzten Überlebenden der Lager und ihren toten Kameraden getragen wurden: die Achtung der Menschenrechte, der Würde und der Freiheit, der Toleranz, der Gleichheit und der Brüderlichkeit.“

Andreas Meyer, Vizepräsident des Internationalen Sachsenhausen-Komitees:

„Warum erinnern wir? Diese Frage wird uns immer wieder gestellt. Wir erinnern, weil es aus unserer Sicht gerade in der heutigen Zeit notwendig ist, dass das Grauen jener Zeit, dass das Leiden der geschundenen, misshandelten und ermordeten Häftlinge nicht in Vergessenheit gerät. Wir erinnern, weil wir den unzähligen Toten ihren Namen zurückgeben wollen. Dass sie für immer ins kollektive Gedächtnis ihrer Nationen, ihrer Länder eingebrannt bleiben."

Im Anschluss an die Gedenkveranstaltung präsentierten Jugendliche aus Berlin-Lichtenberg ihre Ausstellung, die im Rahmen eines mehrtägigen Projekts in der Gedenkstätte entstanden ist. Die Künstlerin Renee van Bavel stellte ihr Kunstwerk „The Table for Tomorrow“ vor, ein aus Kranzschleifen früherer Gedenkveranstaltungen gewebtes Tischtuch. Den Schlusspunkt bildete ein Generationengespräch, zu dem das Internationale Sachsenhausen-Komitee eingeladen hatte.

Hintergrund:

Am 22./23. April 1945 erreichten sowjetische und polnische Soldaten das unmittelbar zuvor von der SS geräumte KZ Sachsenhausen, in dem zwischen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert waren. Mindestens 55.000 von ihnen starben an den unmenschlichen Haftbedingungen oder wurden Opfer von Mordaktionen der SS. Die Befreier fanden im Lager rund 3.000 kranke Häftlinge vor. Mehr als 30.000 Häftlinge befanden sich zu diesem Zeitpunkt auf einem Todesmarsch weiterhin in der Gewalt der SS, die in dieser Schlussphase nochmals mit besonderer Brutalität Häftlinge ermordete. Mehr als 16.000 Häftlinge mussten sich für einige Tage unter freiem Himmel in einem provisorischen Lager im Belower Wald bei Wittstock aufhalten. Die letzten Überlebenden wurden in den ersten Maitagen befreit. Mindestens 1.000 Häftlinge überlebten den Todesmarsch nicht.