Gedenken an die Inhaftierten des sowjetischen Gefängnisses in der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam
- Erschienen am - PresemitteilungIn der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam wurde heute mit einer Gedenkveranstaltung und einer Kranzniederlegung an das Leid der Inhaftierten des ehemaligen Untersuchungsgefängnisses der sowjetischen Militärspionageabwehr erinnert. Gedenkstättenleiterin Ines Reich und Andreas Schlüter, Vorstandsmitglied des Fördervereins Gedenkstätte Leistikowstraße e.V., begrüßten die rund 60 Gäste, unter denen sich auch Angehörige ehemaliger Gefangener des Gefängnisses befanden. Anschließend sprachen Staatsminister Carsten Schneider, Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, Tobias Dünow, Staatssekretär für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, und Xenia Weimann, Tochter der ehemaligen Inhaftierten Hergart Wilmanns, zu den Anwesenden. Im Anschluss wurden an der Gedenktafel im Hof der Gedenkstätte Kränze niedergelegt.
Carsten Schneider:
„Die Leistikowstraße zeugt von der blutigen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Gedenkstätte bietet uns einen einzigartigen Lernort, an dem wir erkennen, was Freiheit und ein Rechtsstaat wert sind. Freiheit, Demokratie und Recht werden heute zunehmend herausgefordert. Deshalb ist unsere aktive Erinnerung an die individuellen Schicksale der Häftlinge und die Umstände der Haft notwendig. Alle Erinnerung ist Gegenwart.“
Tobias Dünow:
„Das ehemalige Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes in der Potsdamer Leistikowstraße 1 ist ein so authentischer wie komplexer Ort. Heute gedenken wir der Menschen, die an diesem Ort Brutalität, Isolation und Torturen ausgesetzt waren, die unter furchtbaren Haftbedingungen gestorben sind oder von Militärtribunalen im Schnellverfahren zum Tode verurteilt wurden. Es ist bürgerschaftlichem Engagement zu verdanken, dass das Gebäude heute erhalten und zugänglich ist. Die Gedenkstätte trägt außerdem mit ihren differenzierten und vielfältigen Angeboten eindrücklich dazu bei, Besucherinnen und Besuchern die Historie der Leistikowstraße 1 nahezubringen. Ich bedanke mich bei den Beschäftigten der Gedenkstätte für ihre engagierte Arbeit. Dieses Haus ist ein großer Gewinn für die Geschichtslandschaft Potsdams und Brandenburgs.“
Xenia Weimann berichtete von der Festnahme ihrer Mutter Hergart Wilmanns:
„Nach Pfingsten 1947 wurde meine Mutter von einem sowjetischen Oberleutnant abgeholt. Man eröffnete ihr, dass sie als englische Spionin festgenommen sei. Sie wurde fast 72 Stunden ohne nennenswerte Pausen verhört. Nachdem man meiner Mutter drohte, nicht nur sie, sondern auch ihre ebenfalls verhaftete Mutter zu erschießen, unterschrieb sie, dass sie beabsichtigte, gegen die Sowjetmacht zu arbeiten. Anschließend wurde sie in die Leistikowstraße gefahren und in Einzelhaft genommen. Ich danke der heutigen Gedenkstätte, dass sie mit ihrer didaktischen Gestaltung des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstgefängnisses die Vergangenheit bewahrt sowie Dokumente, Gegenstände und Schriften der Inhaftierten sammelt und erforscht. Denn es ist auch für zukünftige Generationen wichtig, diesen historischen Ort mit seiner Geschichte in der jetzigen Form zu erhalten.“
Hergart Wilmanns verbrachte 1947 rund sieben Monate im Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Militärspionageabwehr in der Potsdamer Leistikowstraße. Per Fernurteil wurde die 19-Jährige wegen angeblicher Spionage zu 10 Jahren Arbeitslager verurteilt. Über das Speziallager in Torgau gelangte Hergart Wilmanns zur Zwangsarbeit in das sowjetische Strafarbeitslager Workuta. Erst Ende 1953 konnte sie in die Bundesrepublik zurückkehren.
Gedenkstättenleiterin Ines Reich würdigte das außerordentliche ehrenamtliche Engagement zum Erhalt des Gefängnisgebäudes:
„Ohne das unermüdliche Engagement vieler Frauen und Männer, die den ehemaligen Haftort für Interessierte in den Sommermonaten öffneten, erste Kontakte zu ehemaligen Häftlingen knüpften und die Geschichte des Ortes in einer Ausstellung sowie in Broschüren dokumentierten, gäbe es diesen in seiner beklemmenden Authentizität einzigartigen Ort sowjetischer Repression vermutlich nicht mehr. Mit dem Gedenktag würdigen wir auch diesen Einsatz, der vom Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein als Eigentümer des Hauses sowie von Land und Bund aufgenommen wurde und zur Gründung der heutigen Gedenkstätte führte.“
Hintergrund: In der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße wird alljährlich am 15. August mit einer Gedenkveranstaltung an die Inhaftierten des sowjetischen Gefängnisses erinnert. Das Datum markiert die Inbetriebnahme des ehemaligen Pfarrhauses durch die sowjetische Militärspionageabwehr als Untersuchungsgefängnis im Jahr 1945. Der Geheimdienst hielt an diesem Ort bis 1991 vor allem sowjetische Staatsbürgerinnen und -bürger, im ersten Nachkriegsjahrzehnt jedoch auch viele Deutsche unter unmenschlichen Bedingungen gefangen. Der 15. August markiert außerdem das Datum der Rückgabe des Gebäudes an den Alteigentümer, den Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein, im Jahr 1994 und den damit verbundenen Beginn bürgerschaftlichen Engagements zum Erhalt des ehemaligen Untersuchungsgefängnisses, das 2008 zur Gründung der heutigen Gedenkstätte führte.
Weitere Informationen:
www.leistikowstrasse-sbg.de
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